Dienstag, 18. Oktober 2016

Der Relation Walk





Der Schweizer Kinder-Psychotherapeut Hans Zulliger hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen die Spaziergang-Therapie eingeführt. Er hat gemerkt, dass es Kindern und Jugendlichen einfacher fällt über ihre Probleme und Ängste zu sprechen, wenn die Gesprächspartner sich gemeinsam in eine Richtung bewegen. Sie schauen sich nicht gegenseitig in die Augen, sondern sie schauen gemeinsam vorwärts, sind in Bewegung und haben auch die Möglichkeit zu schweigen, ohne dass dies peinlich wird.

Dieses Bild des gemeinsamen Vorwärtsgehens beim Thematisieren von anstehenden Entwicklungen oder bei Konflikten kann man direkt auf die Partner-Beziehung übertragen. Stellen wir uns die Situation vor, wie ein Paar sich auf einer gemeinsamen Wanderung befindet. Sie gehen nebeneinander her und plaudern. Plötzlich taucht ohne konkreten Anlass, einfach aus einer unbedachten Äusserung eines der beiden, im Gespräch ein seit längerem schwelender Konflikt auf. Nicht einfach eine Bagatelle sondern ein wirklich tiefgreifendes existentielles Problem, das seit geraumer Zeit erfolgreich verdrängt wird
Das Paar wird stehenbleiben - der Konflikt wird allenfalls weiter eskalieren.
Es sind jetzt verschiedene Varianten denkbar, welche jede sinnbildlich für das Konfliktverhalten des Paares im Leben stehen kann.

Im ersten Fall macht sich einer der beiden wutentbrannt alleine auf den Heimweg. Er/sie geht aus dem Konflikt raus und geht alleine nach Hause zurück. Diese Lösung steht hier für das Rausgehen aus Konflikten und die Trennung. Konflikte werden dadurch gelöst, dass man sich trennt – temporär oder im Extremfall für immer.

Im zweiten Fall ist den beiden die Lust an der Wanderung vergangen, sie kehren um oder gehen den Rest des Weges schweigend nach Hause zurück, wo sie den Rest des Tages mit getrennten Aktivitäten verbringen. Sinnbildlich für das Vermeiden und Verdrängen von Konflikten in einem gegenseitigen Nebeneinanderherleben. Diese Reaktion ist rückwärtsgewandt, die beiden sehnen sich nach der guten alten Zeit, als alles noch toll und spannend war.

Im dritten Fall wird das Paar die Wanderung fortsetzen, zuerst vielleicht schweigend. Beide werden sich aber aktiv Gedanken machen zum Konflikt und sie werden wahrscheinlich noch einige Male stehenbleiben an diesem Tag und der Konflikt wird allenfalls zeitweise noch weiter eskalieren. Aber sie bleiben im Gespräch und ihr Blick bleibt ebenfalls gemeinsam vorwärtsgerichtet. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass sie dabei einen Schritt weiterkommen in der Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrer Beziehung. Es ist gut möglich, dass sie schlussendlich in sehr guter Stimmung zu Hause eintreffen.

Dieses dritte Bild der Konfliktbewältigung entspricht der Ko-Evolution. Der Blick der beiden bleibt vorwärtsgewandt, sie gehen ihren Weg gemeinsam weiter, thematisieren aber ihre Konflikte und ringen sich zu Gesprächen darüber durch. Dazwischen bleibt aber auch viel Zeit seine eigenen Gedanken zu sortieren.

Das beschriebene Beispiel zeigt, wie ein zufällig aufgekommener Konflikt auf einer gemeinsamen Wanderung den Zustand der Beziehung aufzeigt. Eigentlich könnte man nun diese Erkenntnis nutzen und als Äquivalent zu Zulligers Spaziergang-Therapie einen Beziehung-Spaziergang (Relation-Walk) als Möglichkeit zur Ko-Evolution definieren.

Das Paar wartet nicht, bis auf einem Ausflug ein Thema zufällig auftaucht, sondern es begibt sich ganz bewusst auf einen Relation-Walk. Dabei muss das Thema nicht von vornherein feststehen, man kann auch ohne gemeinsamen Vorsätze gehen und schauen was auftaucht. Jede/r für sich hat ja seine Themen. 

Damit dies möglichst gut gelingt, sollte das Paar auf zwei Dinge achten. Erstens ist es gut, wenn der Relation-Walk an einem Ort stattfindet, wo die Möglichkeit auf Bekannte zu treffen klein ist. Damit hat man Zeit füreinander und wird nicht ständig durch Smalltalk gestört. Zweitens soll der Weg das Ziel sein, also keine Monsterwanderung planen, sondern eine Tour, welche erlaubt, sich genügend Zeit für Zwischenhalte und Gespräche zu nehmen. Wenn es da auch die eine oder andere Gelegenheit für eine Erfrischung und Orte wo man sich ungestört auf eine Ruhebank setzen kann gibt, so ist dies sicher von Vorteil. Der Rest ergibt sich von alleine.
Also dann – let’s walk!

www.zeller-baumeler.ch 

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