Der Schweizer Kinder-Psychotherapeut Hans Zulliger hat in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Arbeit mit Kindern und
Jugendlichen die Spaziergang-Therapie eingeführt. Er hat gemerkt, dass es
Kindern und Jugendlichen einfacher fällt über ihre Probleme und Ängste zu
sprechen, wenn die Gesprächspartner sich gemeinsam in eine Richtung bewegen.
Sie schauen sich nicht gegenseitig in die Augen, sondern sie schauen gemeinsam
vorwärts, sind in Bewegung und haben auch die Möglichkeit zu schweigen, ohne
dass dies peinlich wird.
Dieses Bild des gemeinsamen Vorwärtsgehens beim
Thematisieren von anstehenden Entwicklungen oder bei Konflikten kann man direkt
auf die Partner-Beziehung übertragen. Stellen wir uns die Situation vor, wie ein Paar
sich auf einer gemeinsamen Wanderung befindet. Sie gehen nebeneinander her und
plaudern. Plötzlich taucht ohne konkreten Anlass, einfach aus einer unbedachten
Äusserung eines der beiden, im Gespräch ein seit längerem schwelender Konflikt
auf. Nicht einfach eine Bagatelle sondern ein wirklich tiefgreifendes
existentielles Problem, das seit geraumer Zeit erfolgreich verdrängt wird
Das Paar wird stehenbleiben - der Konflikt wird allenfalls
weiter eskalieren.
Es sind jetzt verschiedene Varianten denkbar, welche jede
sinnbildlich für das Konfliktverhalten des Paares im Leben stehen kann.
Im ersten Fall macht sich einer der beiden wutentbrannt
alleine auf den Heimweg. Er/sie geht aus dem Konflikt raus und geht alleine
nach Hause zurück. Diese Lösung steht hier für das Rausgehen aus Konflikten und
die Trennung. Konflikte werden dadurch gelöst, dass man sich trennt – temporär
oder im Extremfall für immer.
Im zweiten Fall ist den beiden die Lust an der Wanderung vergangen,
sie kehren um oder gehen den Rest des Weges schweigend nach Hause zurück, wo
sie den Rest des Tages mit getrennten Aktivitäten verbringen. Sinnbildlich für
das Vermeiden und Verdrängen von Konflikten in einem gegenseitigen
Nebeneinanderherleben. Diese Reaktion ist rückwärtsgewandt, die beiden sehnen
sich nach der guten alten Zeit, als alles noch toll und spannend war.
Im dritten Fall wird das Paar die Wanderung fortsetzen,
zuerst vielleicht schweigend. Beide werden sich aber aktiv Gedanken machen zum
Konflikt und sie werden wahrscheinlich noch einige Male stehenbleiben an diesem
Tag und der Konflikt wird allenfalls zeitweise noch weiter eskalieren. Aber sie
bleiben im Gespräch und ihr Blick bleibt ebenfalls gemeinsam vorwärtsgerichtet.
Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass sie dabei einen Schritt weiterkommen in
der Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrer Beziehung. Es ist gut möglich,
dass sie schlussendlich in sehr guter Stimmung zu Hause eintreffen.
Dieses dritte Bild der Konfliktbewältigung entspricht der
Ko-Evolution. Der Blick der beiden bleibt vorwärtsgewandt, sie gehen ihren Weg
gemeinsam weiter, thematisieren aber ihre Konflikte und ringen sich zu
Gesprächen darüber durch. Dazwischen bleibt aber auch viel Zeit seine eigenen
Gedanken zu sortieren.
Das beschriebene Beispiel zeigt, wie ein zufällig
aufgekommener Konflikt auf einer gemeinsamen Wanderung den Zustand der
Beziehung aufzeigt. Eigentlich könnte man nun diese Erkenntnis nutzen und als
Äquivalent zu Zulligers Spaziergang-Therapie einen Beziehung-Spaziergang
(Relation-Walk) als Möglichkeit zur Ko-Evolution definieren.
Das Paar wartet nicht, bis auf einem Ausflug ein Thema
zufällig auftaucht, sondern es
begibt sich ganz bewusst auf einen Relation-Walk. Dabei muss das Thema nicht
von vornherein feststehen, man kann auch ohne gemeinsamen Vorsätze gehen und
schauen was auftaucht. Jede/r für sich hat ja seine Themen.
Damit dies möglichst gut gelingt, sollte das Paar auf zwei
Dinge achten. Erstens ist es gut, wenn der Relation-Walk an einem Ort
stattfindet, wo die Möglichkeit auf Bekannte zu treffen klein ist. Damit hat
man Zeit füreinander und wird nicht ständig durch Smalltalk gestört. Zweitens
soll der Weg das Ziel sein, also keine Monsterwanderung planen, sondern eine
Tour, welche erlaubt, sich genügend Zeit für Zwischenhalte und Gespräche zu
nehmen. Wenn es da auch die eine oder andere Gelegenheit für eine Erfrischung und
Orte wo man sich ungestört auf eine Ruhebank setzen kann gibt, so ist dies sicher
von Vorteil. Der Rest ergibt sich von alleine.
Also dann – let’s walk!
www.zeller-baumeler.ch
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